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von Margarita Kalaidjieva
Rechtsanwältin, Partnerin
Die Langwierigkeit der bulgarischen rechtsprechenden Gewalt und die Ineffizienz der Zwangsvollstreckung werden oft von ausländischen und bulgarischen Unternehmen als ernsthafte Hindernisse bei der Gelforderungseinziehung auf gerichtlichem Wege vorgebracht. Diese Beurteilung wird auch von den Institutionen der Europäischen Union geteilt. Sie ist in der Kritik seitens der Europäischen Kommission (EK) in ihren jährlichen Berichten über die Bereitschaft des Landes zur Mitgliedschaft und in ihren dringlichen Empfehlungen für die Ergreifung gesetzgebender Maßnahmen zur Überwindung dieses Problems enthalten. Das Gesetz für die private Gerichtsvollstrecker (Gesetzblatt Nr.43/2005) war einen Schritt in Richtung auf Beschleunigung der Zwangsvollstreckung. Die Anwendung dieses Gesetzes hat aber zu wesentlichen positiven Ergebnissen in der Praxis nicht geführt. Wie die Praxis in den verschiedenen Staaten zeigt, kann die institutionelle Reform die Beschleunigung der Zwangsvollstreckung nicht gewährleisten, wenn sie nicht von einer angemessenen Reform der prozessualen Regelung der Zwangsvollstreckung und des Gerichtsverfahrens begleitet wird. Das Bedürfnis an einer Gesamtreform des Zivilprozesses hat zur Verabschiedung der neuen Zivilprozessordnung /ZPO/ (Gesetzblatt Nr.59/20.07.2007) gebracht.
Der Entwurf der neuen ZPO, die am 1. März 2008 in Kraft tritt, ist im Rahmen von dem Twinning Projekt des Programms Far der EK „Reform des Zivilverfahrens“ BG/03IB/JH/01-A vom bulgarischen Ministerium für Justiz und vom österreichischen Center of Legal Competence als Partner ausgearbeitet. Bei seiner Vorbereitung wurden nicht nur österreichische normative Lösungen sondern auch die neueste Gesetzgebung im Bereich des Zivilprozesses einiger der neuen Mitglieder der EU und anderer europäischen Ländern berücksichtigt. Im Motivenbericht zum Entwurf werden die wesentlichsten Mängel der geltenden ZPO von 1952 festgestellt und die Maßnahmen zu ihrer Überwindung geplant und begründet.
Hiermit können wir nicht alle Änderungen in der Regelung des Gerichtsverfahrens und der Zwangsvollstreckung behandeln. Wir andeuten nur einige Grundsätze in der neuen ZPO, die Beschleunigung des gerichtlichen Schutzes und Erleichterung der Vollstreckung wegen Geldforderungen gewährleisten.
Nach dem Motivenbericht zum Entwurf der neuen ZPO liegt der Schwerpunkt der Reform beim allgemeinen Erkenntnisverfahren. Die Grundsteine sind in der Regelung des Verfahrens im ersten Rechtszuge gelegt, in dem alle prozessualen Anstrengungen des Gerichts und der Parteien zur Aufklärung der Sach- und Rechtslage beim Streit konzentriert werden müssen, damit es zum Rückgrat des Erkenntnisverfahrens wird. Die Regelung des erstinstanziellen Prozesses vor dem Bezirksgericht, die im Entwurf vorgeschlagen wurde, ist leider in dem endgültigen Text der neuen ZPO nicht akzeptiert.
Ein neuer Grundsatz in der Regelung des allgemeinen Verfahrens im ersten Rechtszuge ist die schriftliche Klageerwiderung des Beklagten, welche in der geltenden ZPO nicht geregelt ist. In der Klageerwiderung muß der Beklagte seine Stellungnahme zur Zulässigkeit und zur Berechtigung der Klageschrift und zu den behaupteten vom Kläger Tatsachen darlegen, sowie auch seine Einreden erheben. Der Beklagte muß auch sowohl die Tatsachen, die seine Einreden begründen, als auch alle Beweismittel in diesem Zusammenhang vorbringen. Alle schriftliche Beweise, über die der Beklagte verfügt, müssen beigelegt weden. Durch die Regelung der schriftlichen Klageerwiderung strebt der Gesetzgeber nach einer Aufklärung der Einstellungen der Parteien ganz vom Anfang des Verfahrens, sodass die Möglichkeiten zur Verschleppung des Verfahrens wegen nicht rechtzeitigen Prozesshandlungen der Parteien begrenzt wird. Dieser Grundgedanke kommt zum Ausdruck im Art.133 der ZPO, wo die Rechtsfolgen für den Beklagten geregelt sind, wenn er fristgemäß keine Klageerwiderung eingereicht hat oder wenn er in dieselber seine Stellungnahme, Einreden oder Beweise nicht vorgebracht und beigelegt hat. In diesem Fall verliert der Beklagte die Möglichkeit diese Prozessverhandlungen, die er versäumt hat, später vorzunehmen. Ebenfalls gilt das für das Versäumnis des Beklagten fristgemäß eine Widerklage, eine Zwischenfeststellungsklage und eine Interventionsklage /Beteiligung Dritter am Rechtsstreit/ zu erheben. Als ein neuer Grundsatz im Erkenntnisverfahren wird die Konzentrationsmaxime eingeführt, nach der die Möglichkeit für neues Tatsachenvorbringen und für neue Beweisanträge durch die Parteien ab einem bestimmten Stadium des Verfahrens im ersten Rechtszuge präkludiert wird. Nach der derzeit geltenden Rechtslage werden die Prozessrechte jeweils mit dem Schluss der mündlichen Verhandlungen vor der ersten, Berufungs- und Revisionsinstanz präkludiert. In der neuen ZPO bezweckt der Gesetzgeber den Zeitpunkt des Präklusionseintritts so weit wie möglich nach vorne zu verlegen. Die Präklusion tritt mit dem Ablauf der Frist ein, innerhalb der die Partei die Möglichkeit hatte oder verpflichtet war die entsprechende Prozesshandlung vorzunehmen. Eine Ausnahme von der Regel für die Präklusion wird nur da zugelassen, wenn das Versäumnis der Partei sich aus besonderen unvorhergesehenen Umständen ergibt, die die Partei beweisen muß.
Im Entwurf wurde der Doppelwechsel von Schriftsätzen zwischen den Parteien als ein Grundstein des erstinstanziellen Prozesses vor dem Bezirksgericht geregelt. Im endgültigen Text der neuen ZPO liegt aber diese Regelung nicht im Zweiten Teil „Allgemeines Erkenntnisverfahren“, sondern im Dritten Teil „Besondere Verfahrens“, und nämlich im Kapitel 32, wo das Verfahren in Handelssachen als ein neues besonderes Verfahren geregelt ist. In diesem Verfahren sind eine zusätzliche Klageschrift und eine zusätzliche Klageerwiderung geregelt. Diese Schriftsätze mit allen beigefügten Unterlagen werden zwischen den Parteien durch das Gericht in kurzen Fristen gewechselt werden. Durch den Doppelwechsel von Schriftsätzen vor dem Eintritt der Sache in eine öffentliche Sitzung müssen die Parteien alle ihre Klagen und Einreden erheben, alle Beweisanträge vorbringen, und alle schriftliche Beweise beilegen. Die Prüfung der Zulässigkeit der eingebrachten Klagen und der Ordnungsmässigkeit des Schriftsatzwechsels, wird in einer Verfügungssitzung durchgeführt, in der das Gericht auch über die Beweisanträge der Parteien und über alle vorläufige Fragen entscheidet. Der Grundgedanke in dieser Regelung ist prozessuale Ersparnis und maximale Beschleunigung des Verfahrens in Handelssachen. Derselber Gedanke liegt in der geregelten Möglichkeit des Gerichts in einer geschlossenen Sitzung in der Sache zu verhandeln, wenn alle Beweise durch den Schriftsatzwechsel vorgelegt sind und die Anhörung der Parteien nicht notwendig ist. Auf Verlangen von den Parteien muß das Gericht in einer geschlossenen Sitzung in der Sache verhandeln.
Das Ziel des Gesetzgebers mit Stärkung der prozessualen Disziplin durch die Präklusion wichtiger Prozessrechte den Prozess zu beschleunigen, ist auch in der Regelung des Berufungsverfahrens ausgedrückt. Hier können die Parteien nur solche neue Tatsachen vorbringen, die neu entstanden oder neu bekannt sind. Sie müssen die Hindernisse begründen, wegen denen sie die Tatsachen, die neu bekannt sind, nicht vorbringen konnten. Das gilt auch für neue Beweise, die die Parteien in der Berufungsinstanz vorbringen oder beilegen.
In der neuen ZPO ist die Revisionsberufung durch die Gründe für die Zulässigkeit der Revisionsschrift ernsthaft begrenzt. Wir können zusammenfassen, dass die Revisionsberufung des Urteils der Berufungsinstanz ist nur da möglich und zulässig, wenn das Oberste Kassationsgericht durch die Revision des Urteils eine bedeutende rechtliche Sache beurteilen muß, um die einheitliche Gesetzesanwendung oder die Rechtsentwicklung zu sichern.
Im Motivenbericht zum Entwurf wird als ein ernsthafter Mangel der geltenden Regelung der Zwangvollstreckung festgestellt, dass trotzt ihren zahlreichen Änderungen bleibt diese Regelung in einem mißverstandenen „Humanismus“ und Schutz des säumigen Schuldners gefangen, dem ein breites Instumentarium von rechtlichen Mitteln zur Verschleppung und oft zur Vereitelung der Gläubigerbefriedigung zur Verfügung steht. Einige wesentliche Änderengen in der Regelung der Zwangvollstreckung, die auf die Überwindung dieses Mangels gerichtet sind, sind folgende: Die ernsthafte Begrenzung der Anfechtung der prozessualen Handlungen des Gerichtsvollstreckers, durch die die Zwangsvollstreckung offensichtlich beschleunigt wird. Der Schuldner kann nur eine begrenzte Zahl von erschöpfend festgelegten Handlungen des Vollstreckers anfechten. Nach dem Entwurf der ZPO können nur die Person, die bis zum letzten Tag der Versteigerung ein Vadium eingezahlt hat, sowie auch der Beitreiber, der sich als Bieter ohne Pflicht zur Einzahlung des Vadiums an die Versteigerung beteiligt hat, die Zuschlaganordnung der Sache anfechten. Im endgültigen Text der ZPO verfügt auch der Schuldner über diese Möglichkeit. Die Anfechtung ist aber möglich nur auf Grund, dass die Versteigerung nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist oder das Vermögen nicht gegen den höhsten angebotenen Preis zugeschlagen ist.
Eine wesentliche Ursache für die Verzögerung der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen war die Anfechtung des Schätzwertes der Sache, die vom Vollstrecker zur Versteigerung hinausgebracht wird. Nach der derzeit geltenden Regelung muß der Vollstrecker, einschließlich mit der Hilfe von einem Sachverständiger, die Sache schätzen um ihren Marktwert festzulegen. Da es unterschiedliche Methoden zur Bewertung einer Sache bestehen, kann das Ergebnis der Schätzung immer bestritten werden, wie es wirklich in der Praxis passiert. Deswegen wird in der neuen ZPO der Begriff „Marktwert“ der Sache nicht mehr gebraucht. Der Vollstrecker ist nicht mehr verpflichtet die Sachen, die er verkaufen wird, zu schätzen. Er selbst wird den Verkaufspreis der beweglichen Sache, die durch einen Laden verkauft wird, sowie auch den Afangspreis der Sache, die zur öffentlichen Versteigerung hinausgebracht wird, festlegen. Ein Sachverständiger kann ihn nur bei der Ermittlung des Zustandes der Sache unterstützen.
Ein ernsthaftes Hindernis für die Effizienz der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen ist derzeit die Ermittlung des pfändbaren Vermögens des Schuldners, die Aufgabe des Gläubigers ist. Angaben über das Vermögen des Schuldners können in verschiedenen Registern, wie die Register des Zentraldepositärs, der Finanzämter, der Katasteragentur, das KfZ-Register bei der Verkehrspolizei usw., aufgefunden werden. Alle diese Register, außer dem Immobilienregister, sind aber nicht öffentlich. Da steht der Gläubiger vor erheblichen Schwierigkeiten, wenn er keinen Zugang zu den notwendigen Angaben hat. In der neuen ZPO ist der Ausweg aus dieser Situation gefunden, indem ein Zugang des Gerichtsvollstreckers zu diesen Angaben gewährt ist. Sein Recht auf Zugang ist klar und deutlich festgeschrieben, während die Personen und Behörden, die solche Register führen oder über Informationen über das Vermögen des Schuldners verfügen, nicht ausführlich aufgezählt werden. Also ist jede solche Person oder Behörde verpflichtet den Vollstrecker bei der Erfassung der notwendigen Angaben zu unterstützen.
In der Praxis ist die Verschleierung von Vermögen seitens säumiger Schuldner eine weitere Hindernis für die Befriedigung der Gläubiger. In diesem Zusammenhang ist in der neuen ZPO eine besondere Vorschrift geregelt. Wenn kein pfändbares Vermögen beim Schuldner aufgefunden wird, dessen Verkauf die Vollstreckungskosten decken kann, wird der Schuldner verpflichtet, vor dem Amstgericht zu erscheinen und sein gesamtes Vermögen und alle seine Einkommen bei sonstiger strafrechtlicher Haftung zu erklären.
Nach dem Motivenbeicht zum Entwurf werden als Ergebnisse der Anwendung der neuen ZPO Beschleunigung des Prozesses, Beendigung der Verfahren in angemessenen Fristen, die den europäischen Standards entsprechen, Verbesserung der Qualität der Gerichtsakten und Erhöhung der Effizienz der Zwangsvollstreckung erweitert.